Der Sozialneidkoeffizient

Im Folgenden sehen wir, wie sich das Sozialneidniveau in den vier untersuchten Ländern unterscheidet. Der für diese Studie entwickelte Sozialneidkoeffizient gibt das Verhältnis von Neidern zu Nichtneidern in einem Land an. Ein Wert von 1 würde bedeuten, dass die Zahl der Neider und der Nichtneider gleich groß ist. Bei einem Wert unter 1 überwiegt die Zahl derer, die keinen ausgeprägten Sozialneid empfinden, bei einem Wert von über 1 überwiegt die Zahl der Menschen mit ausgeprägtem Sozialneid. Danach ist der Sozialneid in Frankreich am größten, gefolgt von Deutschland. In den USA und Großbritannien ist er deutlich geringer:
Ausgangspunkt für die Berechnung des Sozialneidkoeffizienten war, wie die Antworten auf die folgenden drei Aussagen ausfielen, hier noch einmal wiedergegeben samt dem Vergleich, wie die Befragten in den vier Ländern darauf antworteten:

»Ich fände es gerecht, wenn die Steuern für Millionäre stark erhöht würden, auch wenn ich dadurch persönlich keinen Vorteil hätte.« (Angaben in Prozent)

Obwohl in allen vier Ländern zumindest eine relative Mehrheit diese Aussage unterstützt, sieht man, dass bei den Amerikanern der Abstand zwischen Befürwortern und Gegnern deutlich geringer ist als in Deutschland und Frankreich, was mit einer größeren Skepsis gegen Steuern in den USA zusammenhängen dürfte.

Die zweite Aussage, die den Befragten in den vier Ländern vorgelegt wurde, lautete:

»Ich wäre dafür, die Gehälter von Managern, die sehr viel verdienen, drastisch zu kürzen und das Geld an die Angestellten der Unternehmen zu verteilen, auch wenn diese dadurch vielleicht nur ein paar Euro [Dollar, Pfund] im Monat mehr bekämen.« (Angaben in Prozent)

Man sieht hier, dass die Franzosen und die Deutschen noch kritischer gegenüber hohen Managergehältern und stärker für Umverteilungsideen sind als Amerikaner und Briten.

Die dritte Aussage:

»Wenn ich höre, dass ein Millionär mal durch ein riskantes Geschäft viel Geld verloren hat, denke ich: Das geschieht dem recht.« (Angaben in Prozent)

Es ist vielleicht kein Zufall, dass das deutsche Wort »Schadenfreude« in die englische Sprache übernommen wurde. Denn das einzige Land, in dem die Zahl der Schadenfreudigen (leicht) höher ist als derjenigen, die keine Schadenfreude empfinden, ist Deutschland.

Mit »Nichtneider« werden jene bezeichnet, die keine dieser drei Aussagen bejaht haben. Mit »Ambivalenten« jene, die eine der drei Aussagen unterstützten. Mit »Sozialneidern« werden jene bezeichnet, die zwei oder drei Aussagen unterstützt haben, wobei als »harter Kern« jene bezeichnet werden, die alle drei Aussagen bejahten.

Der Sozialneidkoeffizient ergibt sich, wenn die Gruppe der Sozialneider (= 2 oder 3 Aussagen bejaht) zur Gruppe der Nichtneider (= 0 Aussagen bejaht) in Relation gesetzt wird.

Um es noch einmal zu wiederholen: Sicherlich gibt es einerseits auch neidische Menschen in der als Nichtneider bezeichneten Gruppe und andererseits Menschen, die nicht sozialneidisch sind, in der als Neider bezeichneten Gruppe. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der keiner der drei Aussagen zustimmt, nicht neidisch ist, ist deutlich größer als bei demjenigen, der allen drei Aussagen zustimmt. Da in allen Ländern die gleichen Fragen gestellt wurden, haben wir eine gute Vergleichsmöglichkeit. Man sieht, dass die Ergebnisse in den beiden angelsächsischen Ländern fast identisch sind und sich in Frankreich und Deutschland stark ähneln. Hier die Ergebnisse im Vergleich (Angaben in Prozent):

Es gibt einen Zusammenhang, wie viele Menschen in den vier Ländern persönlich einen Millionär gut kennen und wie ihr Bild von den Reichen ist. In den beiden Ländern mit niedrigem Sozialneidkoeffizienten haben sehr viel mehr Befragte einen oder mehrere Millionäre in ihrem Bekanntenkreis oder in ihrer Verwandtschaft als in den Ländern mit höherem Sozialneidkoeffizienten. In den USA und Großbritannien, wo die Zahl der Neider deutlich niedriger ist, kennen sehr viel mehr Menschen einen oder mehrere Millionäre persönlich als in Deutschland und Frankreich, wo die Zahl der Neider höher ist.